Medialer Zündstoff: Der Umgang mit dem Islam

27. April 2015

Von Petra Sorge

Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke und Spiegel-Redakteurin Özlem Gezer diskutierten am Donnerstag beim JVBB die Frage: Wie berichtet man sensibel über den Islam? Und wie weit darf Religionskritik gehen? Die Moderation übernahm Tagesspiegel-Redakteurin Anna Sauerbrey. Organisiert wurde die Veranstaltung von den Mentees des gemeinsamen Mentoringsprogramms von JVBB und DJV Berlin.

Die sogenannte "Scharia-Polizei" als "PR-Coup"

Ein paar Islamisten, die sich orangefarbene Warnwesten mit dem Aufdruck "Scharia-Polizei" anziehen und durch Wuppertal ziehen: Mehr brauchte es nicht, um im vergangenen September ganz Deutschland in Aufruhr zu versetzen. Die Nachricht der Salafisten-Patrouille zwang sogar Kanzlerin Merkel zu einer Reaktion.

Ein "PR-Coup" einer kleinen Gruppe sei das gewesen, sagte Spiegel-Redakteurin Özlem Gezer. "Da haben sich die Jungs einen Scherz erlaubt - und alle haben darüber berichtet."

Bei einem kontroversen Streitgespräch des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg zum Thema "Medialer Zündstoff: Der Umgang mit dem Islam" am Donnerstag, den 23. April, war sie sich hier mit Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke einig. Der Fall der "Scharia-Polizei" sei kein Beispiel für guten Journalismus gewesen. Statt die Hintergründe dieser Aktion zu erklären, hätten die Medien den Salafisten eine ungeahnte Aufmerksamkeit beschert.

Laut einer Bertelsmann-Studie empfinden 57 Prozent der Nicht-Muslimen in Deutschland den Islam als Bedrohung. Wie berichtet man vor diesem Hintergrund sensibel über den Islam? Und wie weit darf Religionskritik gehen? Dies waren die Fragen des Podiums, das Tagesspiegel-Redakteurin Anna Sauerbrey moderierte.

Gezer, die für den Spiegel in der Salafismus-Szene recherchierte, betonte, nur die wenigsten Journalisten hätten einen richtig tiefen Einblick gehabt. Viel zu schnell seien die jüngsten islamistischen Gewalttaten und Attentate direkt mit dem Islam in Verbindung gebracht worden. "Die einzige These ist immer die religiöse gewesen. Jeder konnte sich schnell drei Suren, die Gewalt belegen, aus dem Koran herausziehen", sagte Gezer. Dabei seien 90 Prozent der jungen Islamisten "theologische Analphabeten". Unter ihnen seien Jugendliche, "die 'Heil Hitler' rufen könnten, aber auch frühere RAF-Terroristen".

Kritik an Bundesinnenminister Thomas de Maiziere

Schwennicke sieht als Quelle des Terrorismus sehr wohl den Islam: Diese "nützlichen Idioten" würden doch von religiös verblendeten Führungspersönlichkeiten rekrutiert, sagte er. "Die reden ja nicht über Kochrezepte. Sondern über den Koran." Schwennicke wiederholte seine Kritik an Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der nach den Anschlägen von Paris behauptete, diese hätten nichts mit dem Islam zu tun gehabt. "Das war grotesk in seiner Wohlmeinung. Das kann kein Leitfaden für journalistisches Arbeiten sein."

Gezer betonte, dass Medien beim Thema Islam immer wieder Klischees reproduzierten: "Journalisten haben Defizite bei der Analyse." Immer wieder sei in Berichten zum Islam vom "Heiligen Krieg" die Rede. Dabei würde dieser Begriff an keiner Stelle des Korans erwähnt.

Gezer: "Journalismus hat eine Aufklärungsaufgabe"

Auf Nachfrage von Moderatorin Sauerbrey, ob es als Journalist nötig sei, die Heilige Schrift der Muslime ganz zu lesen, sagte Gezer: "Man muss nicht das ganze Buch kennen, aber wissen, was

'Dschihad' noch bedeutet." Der Journalismus habe eine Aufklärungsaufgabe. "Man kann dem Leser auch etwas zumuten", forderte sie.

Schwennicke hatte in einem Kommentar zu den Charlie-Hebdo-Anschlägen (http://www.cicero.de/weltbuehne /attentat-frankreich-blutspur-im-namen-des-islam/58706) einst selbst eingeräumt, den Koran nie gelesen zu haben. Für einen Onlinekommentar sei das auch nicht nötig. "Das kann ich auch aufgrund des gesunden Menschenverstandes." Dennoch sei er "kein Vertreter des ahnungslosen Bemeinens", der gerade durch den Onlinejournalismus zugenommen habe. "Aber einen entsprechenden Hefttitel hätte ich natürlich nicht selbst geschrieben."

Schwennicke spielte auf eine Cicero-Ausgabe an, die auf dem Cover fragte: "Ist der Islam böse?" Die Zeile fand auf der Veranstaltung auch Kritik im Publikum. "Ein Titel ist dazu verdammt, etwas kurz zu fassen", rechtfertigte sich der Chefredakteur. "Verzerrung liegt in der Natur unserer Profession."

Er räumte ein, dass ein solcher Titel auch Beifall von der falschen Seite provoziere. "Aber soll ich das deswegen als Journalist nicht berichten?" Wer eine solche Frage unterdrücke, leiste dem "Lügenpresse"-Vorwurf der PegidaBewegung Vorschub. Dies sei ein "Dilemma in der Berichterstattung", sagte Schwennicke.

Özlem Gezer betonte, auch beim Spiegel habe es Beispiele für solche Titel gegeben. "Das sind auch Kaufentscheidungen."

In einem Punkt waren sich Gezer und Schwennicke am Ende aber wieder einig: Die Forderung einer Migrantenquote in den Medien sehen beide skeptisch. Genauso wenig, "wie Fußballer Fußballkommentare schreiben sollten", sollten Journalisten mit Migrationshintergrund als Anwälte ihrer Sache über Migrationsthemen schreiben, sagte Schwennicke. Gezer betonte, eine bessere soziale Durchmischung in den Redaktionen sei ihr viel wichtiger. "Der Dennis aus Neukölln kommt doch dort viel besser klar als ich."

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