"Estland hat Zähne, und Russland weiß das!"

22. März 2015 I Botschafterin spricht vor Berliner Journalisten Klartext

Von Clemens Glade und Markus L. Blömeke

Die Republik Estland ist ohne Sorge, dass der große Nachbar Russland auch bei ihr einmarschieren könnte. Dies hat die Botschafterin Estlands in Deutschland, Dr. Kaja Tael, im Rahmen eines Gesprächs mit Berliner Journalisten bekanntgegeben. Der Fachausschuss "Europa" des DJV Berlin hatte die Gesprächsrunde für Mitglieder des Verbandes organisiert. Die russischsprachigen Esten seien womöglich für die Annexion der Krim, so Tael. Sie sprächen sich jedoch zugleich für ein freies Estland aus. "Schauen Sie ins Portemonnaie; da finden Sie gute Gründe gegen eine Annexion", so Tael. Die Gruppe der russischsprachigen Esten stellt etwa ein Viertel der estnischen Bevölkerung. Nicht nur der Euro, sondern auch die NATO-Mitgliedschaft bedeutet ein gutes Stück Sicherheit für Estland, zeigte sich Tael überzeugt: "Estland hat Zähne, und Russland weiß das." Das Land hatte zuletzt gemeinsam mit US-Soldaten eine Militärparade in Hörweite der Grenze zu Russland abgehalten. Aus Taels Sicht stellen solche Demonstrationen der Stärke keine Provokation dar: "Es ist Zeit für Klartext", kommentierte sie. Die Mitgliedschaft in EU und NATO sei der beste Teil der Geschichte ihres Landes der vergangenen 800 Jahre, hielt Tael fest. Sie wünsche sich eine deutsche Führungsrolle. Denn: "Gerade in der Krise hat sich gezeigt: Es braucht Leader." Gleichwohl könne Deutschland vom Land im Norden einiges lernen: In Sachen "digitale Transformation" etwa sei es deutlich weiter entwickelt. Der freie Zugang zum Internet für jedermann ist in Estland als Grundrecht verankert. Fast flächendeckend wird kostenfreies WLAN angeboten. Einige staatliche Dienstleistungen wie etwa die Ausstellung von Meldebestätigungen werden zudem ausschließlich online angeboten. Estnische Entwickler haben gar der weltweit erfolgreichen Kommunikationssoftware "Skype" den Weg bereitet. Das Embargo gegen Russland bedeute wirtschaftlich keine große Belastung, berichtet Botschafterin Tael: "Traditionell haben wir keine große Abhängigkeit. Sogar beim Strom sind wir autark." Der Handel mit Russland mache lediglich etwa zehn Prozent des gesamten Warenverkehrs aus. "Nur bei der Milchproduktion waren wir bislang auf Russland angewiesen", so Tael. Der Tourismus-Sektor des Landes allerdings leidet unter der gegenwärtigen Situation: 45 Prozent weniger Touristen aus Russland sind aufgrund der Krise zu verzeichnen. Dies wird nur teilweise kompensiert durch ein Plus von zwölf Prozent an Touristen aus Deutschland. Kein Blatt vor den Mund nahm Tael auch bei anderem ganz anderem Thema, der Situation der Filmindustrie ihres Landes: Von jährlich zehn Filmen aus Estland sei vielleicht einer gut und erfolgreich. "Ich sehe keine große Zukunft für die estnische Filmindustrie", so die Botschafterin.

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