Die goldenen Zeiten des Journalismus: längst vorbei oder in vollem Gange?

28. September 2018

Von Luise Schneider

Steckt der Journalismus in der Krise oder lebt er gerade richtig auf? Beim Mediensalon prallen zwei gegensätzliche Meinungen zur Entwicklung der Medienbranche aufeinander.

„Das ist doch kein richtiger Journalismus. Die sind ja gar nicht richtig ausgebildet.” Vorurteile, mit denen sich viele Bloggerinnen und Blogger tagtäglich herumschlagen müssen. Besonders verbreitet sind derartige Ressentiments in einer Berufsgruppe, die ihnen thematisch eigentlich nahesteht: Journalistinnen und Journalisten.

In ihrer Studie „Deutschlands Blogger – Die unterschätzten Journalisten” haben sich Prof. Dr. Olaf Hoffjann und Oliver Haidukiewicz von der Ostfalia Hochschule für Angewandte Wissenschaften unter anderem mit dem Verhältnis von Journalisten und Bloggern beschäftigt. Prof. Dr. Hoffjann war am 26. September 2018 im Mediensalon beim Deutschen Journalisten-Verband Berlin zu Gast, um die Ergebnisse vorzustellen und gemeinsam mit Cherno Jobatey über die Zukunft des Journalismus zu diskutieren.

Blogger versus Journalisten: gefürchtete Konkurrenz?

„Nur rund 21 % der befragten Journalistinnen und Journalisten denken, dass man in Blogs relevante Informationen findet, die traditionelle Medien nicht bieten.” Ein ernüchterndes Ergebnis für das Verhältnis von Journalisten und Bloggern. Laut Hoffjann bekämen Blogger diese abschätzige Meinung auch häufig zu spüren. Neben oben genannten Äußerungen berichteten die befragten Bloggerinnen und Blogger beispielsweise von Pressereisen, bei denen sie ausgegrenzt und herablassend behandelt würden. Doch woher kommt die oft negative Einstellung der Journalistinnen und Journalisten gegenüber den digitalen Kollegen? Spielen Angst und Konkurrenzdenken eine Rolle? Laut Hoffjann gibt es dazu bislang keinen Grund: In den untersuchten Themenschwerpunkten

Reise, Automobil, Mode und Beauty und Politik verfügten die klassischen Medien nach wie vor über eine wesentlich höhere Reichweite als Blogs. Keine Gefahr in Sicht also.

Endlich messbar!

Reichweite, ein Schlüsselthema in der heutigen Medienwelt. Laut Cherno Jobatey, Herausgeber der deutschen Huffington Post, ist die Messbarkeit von Journalismus eines der Hauptneuerungen, die
die Digitalisierung der Branche gebracht hat. Damit einhergeht: Vergleichbarkeit. Sicherlich nicht für jedermann eine positive Entwicklung, meint Jobatey und berichtet, dass Kolleginnen und Kollegen sich immer noch echauffieren, wenn er sie nach ihren Leserzahlen fragt. Vorbei seien die alten Zeiten, wo man in den Redaktionen rauchte und trank und sich auf ausgedehnte Mittagspausen begab. In denen Redaktionen finanzielle Fettpolster anlegten und Journalisten für drei Artikel im Jahr ein sechsstelliges Gehalt einfuhren. „Man konnte ziemlich lange gut Karriere machen, indem man vor sich hinarbeitete, machte, was man wollte”, erzählt Jobatey. Reichweite? Damals kein Thema! „Du konntest Karriere machen, ohne jemals gemessen zu werden.”

Der Entwicklung steht Jobatey klar positiv gegenüber: „Es ist gut, was passiert. Das einzige, was für manche nicht so einfach ist, ist der Umstellungsprozess.” Viele stünden Veränderungen von Natur aus negativ gegenüber, mit einer ausgeprägten „Früher war alles besser”-Haltung. Sich selbst hingegen beschreibt Jobatey als Optimist.

Die goldenen Möglichkeiten des Journalismus

„Heute ist so viel mehr möglich”, schwärmt Jobatey und spricht eine weitere positive Entwicklung an: die zunehmende Vielfalt – sowohl der Meinungen als auch der journalistischen Formate und Möglichkeiten. Heute könne jeder mit seinem Handy mal eben einen Film drehen, früher wäre ein solcher Dreh noch teuer gewesen.

Mit seinem YouTube-Kanal nutzt auch Jobatey diese vielfältigen Möglichkeiten. Vor Jahren hatte er die Idee: „Lass uns doch mal eine Sendung machen, wo es um Politik geht, aber das Wort Politik nicht vorkommt.” Das Ziel: Menschen für politische Themen interessieren, die normalerweise beim Wort Politik direkt abschalten. Sein Produzent fand die Idee „beknackt”, Jobatey suchte sich einen Sponsor – und setzte das Projekt eigenständig auf YouTube um.

Jobatey schaut nicht auf die goldenen Zeiten des Journalismus zurück, er meint: Wir stecken mittendrin! Die Berufschancen für Journalistinnen und Journalisten seien so gut wie nie – zumindest für die meisten. Der Journalismus habe sich verändert. Wer dem gegenüber offen ist, habe goldene Möglichkeiten: „Bist du jemand, der sich auf die neuen Sachen einlässt, kannst du dir aussuchen, wo du arbeitest.” Alle seien auf der Suche nach Journalistinnen und Journalisten, überall werde abgeworben. „Es redet nur keiner drüber. Wir sagen alle: Gott, geht es uns schlecht.”

Zwischen Fettpolstern und Existenzängsten

Eine Rednerin aus dem Publikum zweifelt dies an. Schwindende Reichweite und sinkende Verkaufszahlen der traditionellen Medien seien nicht wegzureden. Viele Journalistinnen und Journalisten klassischer Medien hätten Angst davor, ihre Stellen zu verlieren.

Auch Hoffjann meldet Zweifel an. Zwar werde der klassische Journalismus durch neue Formen herausgefordert, im positiven Sinne unter Druck gesetzt und inspiriert. Aber: „Man muss auch ganz klar sagen, ökonomisch gesehen waren das damals die guten alten Zeiten.” Ein Bild, das sich auch bei den Bloggerinnen und Bloggern aus der Befragung abzeichnet. Denen, die sich dem Wandel nicht verschließen, die ja regelrecht Treiber des Wandels sind, laut Jobatey also aktuell profitieren

müssten. „Die materielle Situation der Blogger ist nicht gut. Es gibt nur wenige, die das hauptberuflich machen und davon leben können”, berichtet Hoffjann. 70, 80 Stunden für ein paar hundert Euro, „das ist Selbstausbeutung, das kriegen vielleicht gerade noch so Studierende hin”. Er meint auch: Es ginge doch gar nicht mehr um Fettpolster – sondern zum Teil tatsächlich um die blanke Existenz.

Und nun? Zwei gegensätzliche Meinungen treffen an diesem Abend aufeinander: große Sorge auf der einen und ebenso große Zuversicht auf der anderen Seite der Diskussion. Wie es tatsächlich um den Journalismus steht, lässt sich nicht abschließend beantworten. Versöhnliche Nachrichten hält am Ende jedoch die Studie von Hoffjann und Haidukiewicz für die Gäste bereit: Bezüglich ihres Rollenselbstbildes, Qualitätsanspruchs und ihrer Einstellungen zu PR und Schleichwerbung weisen Bloggerinnen und Journalisten wenige bis gar keine Unterschiede auf – und sind sich trotz Sticheleien scheinbar doch ähnlicher als zunächst gedacht.

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