Abschied eines Rhetors

5. Juli 2012 I Zum Tod von Herwig Friedag

Noch als er im hohen Alter war, horchten alle auf, sobald Herwig Friedag etwas zu sagen hatte. 16 Jahre lang leitete er den DJV Berlin. Er verteidigte vehement die Unabhängigkeit des Verbandes und stand bis zuletzt als Mentor bereit. Nun ist der Grandseigneur im Alter von 91 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Peter Pistorius.

Herwig Friedag musste man nicht zweimal bitten, wenn es um seinen Verband ging, im Bund wie in seiner Heimatstadt Berlin. Er war da, stand dann auch hin, wie man heute sagt, wenn er gerufen wurde, und er blieb und übernahm die Verantwortung, die ihm aus den ganz unterschiedlichen Ehrenämtern und beruflichen Aufgaben zukam.

Die Jüngeren im Verband horchten immer noch auf, wenn der hochgewachsene Mann ans Mikrophon ging und mit klarer Stimme und präzise artikuliert seine Plädoyers vortrug – Friedag kam aus dem Hörfunk, wo damals noch eine deutliche Aussprache gepflegt wurde. Fast immer ging es dann um die Einheit und Geschlossenheit einer starken journalistischen Berufsvertretung, auch um deren Unabhängigkeit von der Politik und anderen, scheinbar stärkeren Bataillonen.

Kampf um Unabhängigkeit des DJV

In den siebziger Jahren lockte der Deutsche Gewerkschaftsbund mit der Bildung einer neuen Mediengewerkschaft, in der vom Journalisten bis zum Schriftsteller alle unter einem Dach versammelt sein sollten. Um den Preis freilich, dass dort die Journalisten nicht nur in der Minderzahl gewesen wären, sondern sich auch einem politischen Mandat hätten unterwerfen müssen. Friedag als Vorsitzender und sein Berliner Verband widersetzten sich in einer über Jahre hinziehenden Auseinandersetzung diesem Trend. Am Ende überzeugten die Berliner auch die anderen. Der DJV blieb unabhängig und so am stärksten den eigentümlichen Interessen der Journalisten verpflichtet.

Friedag hielt, auch darin erfolgreich, dagegen, als in der finanziellen Krise der Berliner Verband mit Optionen spielte, vielleicht außerhalb seiner traditionellen Bindung die Sanierung anzugehen. Und er setzte sich dann, vehement und loyal mit dem Vorstand, gegen den Versuch einiger Hasardeure zur Wehr, den Berliner Verband für deren egoistischen Zwecke zu kapern. Das von ihm mitgetragene unvollendete Projekt, in Berlin und Brandenburg durch die Fusion einen noch stärkeren Verband herzustellen, bleibt sein Vermächtnis.

Nach dem Krieg beim Tagesspiegel volontiert

Mit ganzem Herzen war er Radiomann, und wie fast alle, die dort ihren Beruf fanden, kam er von der Zeitung. Beim Tagesspiegel hatte er gleich nach Kriegsende sein Handwerkszeug erlernt, mit dem er beim Abend und bei der sozialdemokratischen Wochenzeitung Berliner Stimme erste berufliche Etappen zurücklegte. Da hatte er auch schon Erfahrungen in der Politik gesammelt. Der Zehlendorfer Bezirksverordnetenversammlung gehörte der junge Friedag bis 1959 an, einige Jahre als SPD- Fraktionsvorsitzender. Hier hat er die Kunst des politischen Kompromisses gelernt, die später viele im Verband an ihm rühmten.

Den Sender Freies Berlin betrat Friedag in einer bewegten Epoche. Die Kampfdemonstrationen der 68er-Studenten stellten ihn und seine junge Crew im Zeitfunk des Senders auf eine harte Probe, wenn es darum ging, die Prinzipien einer unabhängigen und fairen Berichterstattung Tag für Tag am lebenden Objekt zu testen. Im Gelände zwischen dem politischem Kommentar und der reinen Nachricht bezeichnete Friedag das damals noch junge Format des Zeitfunks einmal als Mischwald, und so hegte und pflegte er ihn auch in der Praxis.

Hilfe für ein vom Erdbeben verwüstetes Dorf in Italien

Das Bedürfnis seiner Redaktion, den Opfern des italienischen Erdbebnens, das im November 1980 das armselige Hinterland von Neapel verwüstet hatte, führte zu einer in der ARD einzigartigen Hilfsaktion. Das Dorf Santo Menna wurde zum Inbegriff, nicht nur für die Großherzigkeit der Berliner Radiohörer, sondern auch für die Leistungsfähigkeit eines Radioprogramms, das hier einmal die Grenzen seines gesetzlichen Auftrags grandios überschritt.

Die Zeit, in die der Journalist und der Verbandsmensch Herwig Friedag hineingeboren war, hat ihm überwiegend Freude beschert. Die wirklichen Probleme kamen später. Neben seiner Reiselust, der er ausgiebig frönen durfte, gehörten die schönen und glanzvollen Seiten des Verbandslebens zu den angenehmeren Pflichten eines Vorsitzenden.

Verheißungen am Horizont

Ausgiebig musste er sich einmal, im Jahr 72 während eines Urlaubs an der jugoslawischen Küste, mit der brieflichen Anfrage seines Geschäftsführers, des gewissenhaften Kurt Orb, auseinandersetzen, ob man dem traditionellen Spargelessen des Verbands im Kempinski diesmal nicht eine extraordinäre Note geben sollte. Gegenstand der bestens recherchierten Überraschung war etwas, „was es in den USA und in England schon geben soll: Grüner Spargel.“ Orb entbot sich, nachdem er Wachstum, Art der Ernte und Geschmack des exotischen Gemüses geschildert hatte, entsprechende Kontakte bis ins Rheinland aufzunehmen, um „zu dem üblichen Pfund Spargel auf jedem Teller ein paar grasgrüne Stangen“ zu servieren. „Wir werden sicherlich die ersten, die mit solcher Novität in Berlin Furore Machen,“ freute er sich für den DJV, der damit auch dem üblicherweise eingeladenen Regierenden Bürgermeister Gelegenheit gab, in seiner launigen Tischrede auf das exotische Gemüse rhetorisch einzusteigen. Tempi passati!

Mit Herwig Friedag ist nun einer der letzten aus der Generation gegangen, die nach den Entbehrungen und Aufbauleistungen der frühen Jahre eine lange Zeitspanne überblicken konnten, in der die Selbstverständlichkeiten von heute – nicht nur der sprichwörtliche grüne Spargel – nur wie ferne Verheißungen am Horizont auftauchten. Am 3. Juli 2012 starb Herwig Friedag im Alter von 91 Jahren. Wenige Wochen zuvor besuchte er noch seine Kollegen beim DJV Berlin.

Newsletter

Cookie Einstellungen