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Am Flughafen Kabul:

US-Militär setzt der Pressefreiheit die Grenzen

27.08.2021

Steffen Grimberg (Foto: privat)

Natürlich lässt sich über die Wortwahl streiten. „Live-Bericht aus Kabul: Bild-Vize Paul Ronzheimer in der Taliban-Hölle“ schlagzeilten „Bild“ und „Bild live“, der neue TV-Ableger in Springers Bewegtbildreich. Und natürlich war es sensationsheischend, wie Ronzheimer sich da schon gleich nach Ankunft auf dem militärischen Teil des Flughafens mit der Gefahr brüstete, als wäre er nicht von Soldaten eng bewacht. So ist es nun mal auf dem Boulevard: Die Tatsache, dass da berichtet wird und wer da berichtet, ist mindestens genauso wichtig wie der Inhalt.

Dennoch war das, was Ronzheimer in den wenigen Stunden von dort senden konnte, wichtig. Dass er wie andere internationale Journalistinnen und Journalisten dann von der US-Army gleich wieder zum Abflug gezwungen wurde, ist deshalb höchst problematisch. Natürlich stecken die Zuständigen vor Ort in einem Dilemma. Die Situation war brandgefährlich, die wenige Stunden später erfolgten Anschläge der Terrororganisation IS in unmittelbarer Nähe des Flughafens haben das gezeigt. Doch wenn Medienmenschen auf eigenes Risiko nach authentischen Informationen suchen wollen, sollte das möglich sein. Wenn Militärs mit ihren eigenen Interessen die Grenzen setzen, wird unabhängige Kriegs- und Krisenberichterstattung unmöglich.

Wie Ronzheimer berichtete, war ihm und seinem Fotografen zunächst auch in Aussicht gestellt worden in die Stadt fahren zu dürfen. Wenn bei der Entscheidung, die Berichterstatter stattdessen wieder ins Flugzeug nach Doha oder Quatar zu setzen, wirklich die Spitzen des US-Außen- und Verteidigungsministeriums mitgemischt haben, sollte nach deren Motiven gefragt werden.

Ob „die Amerikaner“ wirklich - wie dann bei Bild live spekuliert wurde, Bilder „wie damals in Saigon“ verhindern wollten, wissen wir nicht. Doch der Verdacht liegt nahe, dass hier der Informationsfluss kontrolliert werden soll. Das hat es seit der US-Invasion im Karibikstaat Grenada so nicht mehr gegeben. Als dort 1983 nach einer unblutigen Revolution die USA die Insel besetzten, schloss Ronald Reagan das US Press Corps von der Operation aus. Es folgte ein Aufschrei aller renommierten Medien. Seitdem verfolgte das Weiße Haus eine andere Strategie: Berichterstatter wurden in liebevoller PR-Umarmung in Operationen integriert, freundlich „embedded“ genannt. Das war in den Golfkriegen so - und auch in Afghanistan vor zwanzig Jahren.

Ronzheimers Rauswurf wirft noch ein anderes Schlaglicht auf die deutsche Kriegs- und Krisenberichterstattung. Er war immerhin für „Bild live“ vor Ort, die anderen Medien, private wie öffentlich-rechtliche glänzten durch Abwesenheit. Dass Krieg eine üble Sache und auch für Berichterstattende potentiell lebensgefährlich ist, lässt sich nicht bestreiten. Dennoch ist es fragwürdig, wenn gerade die großen Sender ausschließlich auf Sicherheit setzen und oft aus „Versicherungsgründen“ nur aus weit entfernten Studios und Korrespondentenbüros berichten. Denn damit ist die Berichterstattung weit hinter dem Niveau von CNN zurückgeblieben. Und dieser Rückzug in die Etappe hat das Risiko komplett auf die wenigen verbliebenen Ortskräfte verlagert. Von vielen wissen wir nach dem Ende der Luftbrücke nicht, ob sie vor dem Schlimmsten bewahrt werden können.

Steffen Grimberg

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