Aktuelles

Christian Walther

Erklärung im Abgeordnetenhaus

08.05.2019

37. Sitzung des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien des Abgeordnetenhauses von Berlin am 8. Mai 2019

Anhörung zu den Themen - Redaktionssterben in der Berliner Medienlandschaft – Fusionen versus Meinungsvielfalt - Umbruch am Berliner Zeitungsmarkt – Die Tageszeitungen zwischen sinkenden Auflagen und Herausforderungen der digitalen Welt Wir neigen nicht zu Alarmismus. Die Krise ist ohnehin ein verlässlicher Begleiter der Berliner Zeitungsszene seit 70 Jahren. Dabei gab es bereits zwei große sichtbare Marktbereinigungswellen. Inzwischen bricht  – teilweise für die Kundschaft unsichtbar – die dritte über die Region herein. Die erste Marktbereinigungswelle fand in den 60er und 70er Jahren statt – in West-Berlin. Nacheinander gaben auf: das Berliner Montags-Echo, der Tag, der Kurier sowie Telegraf und Nachtdepesche. 1981 folgte der Abend. Die zweite Welle traf die Ost-Berliner Titel nach der Wende, teilweise nach einem Zwischenspiel bei westdeutschen Verlagen, in den Jahren zwischen '90 und '94: Eingestellt wurden die Nationalzeitung, der Morgen, das Sportecho, die Tribüne, das Bauernecho und die Neue Zeit. Etwa gleichzeitig folgte im Westen das Spandauer Volksblatt. Der Tod all dieser Zeitungen – und im Osten auch noch zahlreicher Zeitschriften – reduzierte die Vielfalt auf dem Berliner Markt erheblich. Das kann durchaus auch mit Blick auf die Titel im Osten in dieser sehr kreativen Phase nach Ende der Gängelung durch Staat und Partei gesagt werden. Die dritte Welle brachte bisher keine am Kiosk bemerkbare Einstellung von Titeln. Doch verstärktes Renditedenken  führte zur Reduzierung von redaktionellen Angeboten. Erst stellte die FAZ ihre höchst originellen Berliner Seiten wieder ein, ähnlich die Süddeutsche. Später machte Springer den Berliner Lokalteil der WELT wieder dicht und legte die Redaktionen von WELT und Morgenpost zusammen, noch später jene von Bild Berlin und BZ. Bei Berliner Zeitung und Berliner Kurier endete in der Zusammenlegung der Redaktionen, was als nicht-enden-wollender Verlegerwechsel begann: Erst kaufte Gruner+Jahr gemeinsam mit dem Briten Maxwell das Verlagshaus am Alexanderplatz, dann sollte es an den Tagesspiegeleigentümer Holtzbrinck weitergereicht werden. Das aber klappte nicht, weil das Kartellamt dazwischen grätschte. Es folgte eine Phase unter britischem Heuschreckenmanagement, bis endlich der Verkauf an das traditionsreiche Verlagshaus DuMont mit großer Erleichterung registriert werden konnte – doch zu Unrecht: DuMont erweist sich als unfähig, seine Blätter und –  jenseits der Papierform – die redaktionellen Angebote in die Zukunft zu führen. Trotz engagierter Redaktionen steht bei DuMont die gesamte Tageszeitungssparte zum Verkauf. Bereits im letzten Jahr war die Berichterstattung über Bundespolitik von der Verlagsgruppe DuMont (Köln) mit der Verlagsgruppe Madsack (Hannover) zusammengelegt worden. Die Zusammenlegung von Redaktionen bedeutet nicht zwingend einen Qualitätsverlust für das einzelne Blatt, aber es bedeutet fast zwangsläufig einen Verlust an Vielfalt: Wo vorher mehrere Journalisten aus mehreren Redaktionen mit unterschiedlichem Blickwinkel an ein Thema herangegangen sind, sitzt jetzt in der Regel ein Journalist, der seine Sicht der Dinge in mehreren Medien parallel ausbreitet – gedruckt und digital. Die Vielfalt der Formen – hier Interview, dort Reportage – ersetzt inhaltlichen Pluralismus. Wir neigen nicht zum Alarmismus, aber wir stellen nüchtern fest, dass all diese Schritte auch mit Personalabbau in den Redaktionen verbunden waren und nicht selten mit Verlust an Fachkompetenz. Bei DuMont, aber auch in Redaktionen von Springer und Funke, mehren sich die resignativen Stimmen. Gerade DuMont hat einen erheblichen Braindrain hinter sich, einen Verlust an fachlich versiertem Personal. Ich nenne exemplarisch aus der Landespolitikredaktion Regine Zylka und Jan Thomsen, die Gesundheitsredakteurin Thorkit Treichel und den Bildungsredakteur Sascha Langenbach. Es wächst die Neigung, sich nach dem Motto Rette sich, wer kann neue Jobs zu suchen, vor allem im Wachstumssegment der Kommunikationsbranche, in Pressestellen und PR. Die traditionsreiche Berliner Morgenpost, seit sechs Jahren Teil der Essener Funke-Gruppe, hat weiter dramatisch an Auflage verloren, und verkauft in Abo und Einzelverkauf nur noch gut 50.000 Exemplare täglich. Abo und Einzelverkauf – diese Zahl ohne beispielsweise die Bordexemplare am Flughafen gilt als die harte Währung der Branche. Ähnlich die Auflage beim Boulevardblatt Kurier. BZ und Berliner Zeitung sind mit je gut 65.000 Exemplaren kaum stärker. Verglichen mit beispielsweise Süddeutscher Zeitung, Nürnberger Nachrichten, Augsburger Allgemeiner, die jeweils größere Regionen abdecken und nicht nur ein Stadtgebiet, sind die Berliner Abonnementzeitungen zu Zwergen mutiert. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass die drei einst sehr auflagenstarken Bezirksblätter der SED im Umland, in Potsdam, Cottbus und Frankfurt/Oder nach der Wende sozusagen Berlin-fern privatisiert wurden und heute aus Ulm und Hannover ferngelenkt werden. Schon die Entscheidung des Kartellamtes 2004, einen Zusammenschluss der Verlage von Tagesspiegel und Berliner Zeitung trotz der Zusage getrennter Redaktionen zu untersagen, war aus heutiger Sicht unklug. An dieser Stelle waren auch wir nicht weitsichtig genug. Soweit Journalismus privatwirtschaftlich organisiert ist, braucht er nicht nur publizistischen Ehrgeiz, sondern auch ein funktionierendes Geschäftsmodell. Allerdings kennt man gerade in Berlin schon seit quasi ewigen Zeiten das Modell der Quersubventionierung: Die legendäre Vossische Zeitung war bei Ullstein nie profitabel und wurde immer aus den munter sprudelnden Gewinnen von Morgenpost und Berliner Illustrirter Zeitung subventioniert. So ähnlich soll ja bis heute das Verhältnis von BILD zur WELT sein. Aber gerade bei Springer tragen die ins Digitale ausgelagerten Immobilien- und Stellenanzeigen, tragen Immowelt und Stepstone, erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg und der modernen Form der Quersubventionierung bei. Derartiger wirtschaftlicher Erfolg ist den Konkurrenten bislang nicht beschieden. Insofern ist die Sicherung publizistischer Vielfalt wesentlich vom Innovationsvermögen der jeweiligen Verlage abhängig. Trotz mutmaßlich beachtlicher Verluste steht der Tagesspiegel relativ gut da, dem es in den letzten Jahren gelungen ist, zur Nr. 1 auf dem Berliner Zeitungsmarkt zu werden, einfach in dem er langsamer an Auflage verlor als die Konkurrenz, teilweise sogar zulegte und zwar durch erhebliche Zuwächse im deutschlandweiten Verkauf seiner E-Paper-Ausgabe. Der Tagesspiegel nutzt auch neuere Formen der Verbreitung in Form diverser E-Mail-Newsletter. Dabei ist der Ausbau der Bezirksnewsletter „Leute“ auch einem immerhin 500.000 Euro starken Zuschuss der Google-digital-news-Initiative zu verdanken. Ab 14. Mai will der Tagesspiegel nun versuchen, mit seinem „Checkpoint“ mehr Geld zu generieren, indem ein Großteil der Informationen auf eine kostenpflichtige Homepage verlagert wird, und der „Checkpoint“ selbst das Wichtigste nur noch – Zitat – „in aller Kürze“ präsentiert. Als relativ stabil erweist sich auch die Tageszeitung taz, die letztes Jahr ihr neues, weitgehend von der eigenen Genossenschaft finanziertes Verlagshaus bezogen hat. Allerdings zahlt die taz weiterhin lausige Löhne und versucht derzeit, für die Rentner aus der Gründergeneration der taz Spenden einzusammeln, um sie ein Stück weit vor der Altersarmut zu bewahren. Auch die taz stellt sich der Diskussion um die Zukunft der Zeitung und erörtert ein Ende der gedruckten Werktagsausgabe zu Beginn der 20er Jahre. Auch die taz versucht, ihre digitalen Angebote gegen Geld abzugeben – wenn auch, ähnlich dem darin erfolgreichen Londoner Guardian, auf freiwilliger Basis. Wir als Journalistenverband begrüßen grundsätzlich das Bemühen, Abstand zu gewinnen von der Umsonst-Kultur des Internets, in der man fast alles klauen und verbreiten kann, ohne sich über Honorare, Urheberrechte und die Rente von Autorinnen und Autoren Gedanken zu machen. Die Entwicklung weiterer, dann aber hochpreisiger sogenannter „Background“-Newsletter beim Tagesspiegel für Spezialisten in den Bereichen Energie & Klima, Digitalisierung & Künstliche Intelligenz sowie Mobilität & Transport zeigt allerdings auch ein Risiko auf: In dem sich der Tagesspiegel mit großem strategischen Geschick und erheblichem redaktionellen Einsatz auf einkommensstarke oder zumindest einflussreiche Zielgruppen konzentriert, drohen andere Themen und Zielgruppen in den Hintergrund zu treten. Ähnliche Fragen stellen sich auch bei anderen Blättern, wenn auch ohne diesen strategischen Hintergrund. Der massive Personalabbau bei  DuMont und Funke geht nicht spurlos am Produkt vorbei. Journalismus und Journalisten leiden. An dieser Stelle ist auch darauf aufmerksam zu machen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Zeitungen und ihrer Verlage weitgehend verborgen sind vor der Öffentlichkeit: Dank eines Reliktes aus den frühen Jahren unserer Republik gilt für die Verlage der sogenannte Tendenzschutz im Betriebsverfassungsgesetz. Das bedeutet, dass die Verlage ihre Wirtschaftsdaten nicht so veröffentlichen müssen wie jedes andere Unternehmen, und dass auch die Mitbestimmungsrechte weit hinter dem bundesdeutschen Standard zurückbleiben. Diese Privilegien der Verlage sind aus unserer Sicht heute nicht mehr zu rechtfertigen. Zu den großen Verlierern auf dem Berliner Zeitungsmarkt zählen ja auch die Boulevardblätter BZ, Kurier und die in Berlin nie sonderlich erfolgreiche BILD. Wo bleiben ihre Leser? Was passiert mit jenen, die keinen Hochschulabschluss haben und sich im Internet vielleicht nicht so gut zurechtfinden? Wo beziehen sie künftig ihre Informationen über die Stadt, das Land, in denen sie leben? Wir neigen nicht zum Alarmismus, aber wenn immer weniger Haushalte eine Zeitung beziehen und immer weniger Menschen sorgsam ausgewählte und sorgsam aufbereitete Nachrichten – gedruckt oder digital – konsumieren, wo bleibt dann der informierte Bürger, die informierte Bürgerin, die ja doch die Stützen sein sollen unserer Demokratie? Die Demokratie ist angewiesen auf einen professionell kuratierten Nachrichtenfluss: Berichten und Gewichten. Dabei kann bislang kein Algorithmus qualifizierten Journalismus ersetzen. Dr. Christian Walther Vorsitzender Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) Foto: © Abgeordnetenhaus von Berlin / Peter Thieme
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