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Rückschau auf die re:publica:

Die Öffentlich-Rechtlichen und ihre „Frenemies“

19.06.2022

Die re:publica 2022 liegt nun schon wieder hinter uns. Auch in diesem Jahr stand die Diskussion um die Macht der Plattformen und die sozialen Medien im Vordergrund. Passend dazu hatte die Otto Brenner Stiftung eine lesenswerte Untersuchung über „Journalismus in sozialen Netzwerken“ vorgelegt, die hinterfragt, inwieweit „ARD und ZDF im Bann der Algorithmen“ stehen und dadurch journalistische und öffentlich-rechtliche Standards verwässert werden.

Denn eins ist klar: Die Plattformen haben ihre eigenen Spielregeln. Diese orientieren sich klar am kommerziellen Erfolg, der hier in Reichweiten, Klicks und Traffic gemessen. Ließen sich diese mit journalistisch hochwertigen Angeboten erzielen, wäre das eine Win-Win-Situation. Doch die Erfahrungen der digitalen Realität lehren, dass mit Sensation, Verschwörungsgeraune und Zuspitzung mehr zu holen ist als mit differenzierten Inhalten. Dazu kommt die Datensammel- und -auswert-Wut aller Anbieter von YouTube bis TikTok.

Forderungen, daher diesen Plattformen, Messenger-Diensten und Social-Media-Kanälen die kalte Schulter zu zeigen, helfen aber nicht weiter. Sie sind längst in unseren Medienalltag integriert - und vor allem jüngere Menschen sind ohne sie kaum noch zu erreichen. Auch die immer mal wieder aufploppenden Ideen, den Angeboten aus dem Silicon Valley und China eigene öffentlich-rechtliche Plattformen oder vielleicht sogar eine alle Medien einbeziehende Alternative entgegenzusetzen, müssen bei allem Respekt als gescheitert gelten.

Im Interview mit dem Tagesspiegel sagt ARD-Digitalboard-Chefin Tanja Hüther: „Es gibt aktuell keine Unabhängigkeit von den Gatekeeper-Plattformen. Es gibt aber unterschiedliche Grade von

Abhängigkeit.“ Dass es dazu kommen konnte, liegt auch an der wenig koordinierten und sehr von Zufällen abhängigen Art, wie sich vor allem die Öffentlich-Rechtlichen digital aufgestellt haben. Hüther: „Die ARD hat Stand heute ein zu großes und zu wenig gesteuertes Angebot auf den digitalen Plattformen.“ Das 2021 geschaffene Digitalboard soll dem nun abhelfen und ARD-weit die Angebote koordinieren.

Aber seien wir mal ehrlich: Dass die Öffentlich-Rechtliche im Netz ins Hintertreffen geraten sind, lag zum einen daran, dass bei ihnen wie auch den Verlagen wirklich innovative oder gar visionäre Ideen Mangelware waren. Zum anderen konnten sie aufgrund medienpolitischer Beschränkung im Netz aber auch nur mit angezogener Handbremse fahren. Erst die Anfang Juni auf der Ministerpräsidentenkonferenz gefundene Einigung wird im künftigen Medienstaatsvertrag einigermaßen damit aufräumen. Absurderweise waren viele dieser Beschränkungen vor allem aufgrund entsprechender Forderungen der Privatsender und Zeitungsverlage erlassen worden. Nun, wo alle im digitalen Alltag mit Blick auf die „Frenemies“ Google, Facebook & Co. im selben Boot sitzen, rächt sich das.

Doch wer nun den Untergang des journalistischen Abendlands beschreit, spitzt genauso unzulässig zu, wie es in den sozialen Medien (und ehrlich gesagt auch viel zu oft bei „Anne Will“) üblich ist. Journalismus musste sich schon immer mit seinen „Verteilern“ arrangieren - das war schon 1604 so, als in Straßburg mit der „Relatio“ zum ersten Mal ein Druckerzeugnis erschien, das wir heute Zeitung nennen.

Umbruchsphasen neigen immer zu einer gewissen Nervosität. Aber die Mittel und Wege, hier im Sinne des Journalismus gegenzusteuern, liegen auf der Hand. Die Otto-Brenner-Studie enthält einen guten Kriterienkatalog. Dazu gehören klare redaktionelle und medienethische Richtlinien, eine Festlegung, wie weit Nutzungsdaten Einfluss auf redaktionelle Entscheidungen und die Produktgestaltung haben sollen, und klare Grenzen des Engagements in sozialen Netzwerken, wenn öffentlich-rechtliche Inhalte rechtswidrig monetarisiert werden, Konflikte in der Content-Moderation ungelöst bleiben oder Beiträge durch die Plattformen ohne rechtliche Grundlage entfernt werden. Zu all dem gehört vor allem auch ein Community-Management, das diesen Namen wirklich verdient und nicht - wie heute noch an viel zu vielen Stellen üblich - ungenügend für diese anspruchsvollen Aufgaben qualifiziert und zudem noch personell unzureichend ausgestattet ist.

Für uns als Berufsverband und Gewerkschaft ist das übrigens auch eine spannende Herausforderung. Denn hier entstehen gerade ganze neue mediale Berufsfelder, die für die Zukunft des Journalismus eine immens wichtige Rolle spielen. Lassen Sie uns diese neuen Kolleginnen und Kollegen mit offenen Armen empfangen!

Steffen Grimberg

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