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Der Streit um die öffentlich-rechtlichen Kulturradios

09.04.2021

Kulturoptimismus statt -pessimismus!

Steffen Grimberg (Foto: privat)

Das Radio hat als Medium ein paradoxes Schicksal. Einerseits hören wir wohl alle täglich Radio. Morgens beim Frühstück, im Auto oder zwischendurch auch mal bei der Arbeit. Radio ist das Medium mit der größten Reichweite. Trotzdem führt es in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein. Berichtet wird ganz überwiegend über den großen Bruder Fernsehen, über die Entwicklungen bei den Zeitungen und Zeitschriften und natürlich über alles, was im Netz passiert.

Die Kulturwellen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks machen hier keine Ausnahme. Auch sie sind höchstens dann mal in der Diskussion, wenn es bei ihnen schwierig wird - wie aktuell bei den Umbaumaßnahmen im rbb und anderen ARD-Anstalten.

Die FAZ sieht bereits einen „Kahlschlag im Rundfunk“ drohen und schreibt vom „Mobbing gegen Bildungsbürger“. Die Zuständigen für die Kulturwellen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk würden einen Generationenabriss fürchten, konstatiert das Blatt für kluge Köpfe. Und planten nun, ihre Inhalte an Hörerprofilen auszurichten, „die empfindlich mit den Interessen des Stammpublikums kollidieren“. Ja, aber da liegt bei einer Reichweite von um oder unter ein Prozent auch das Problem.

Seien wir mal ehrlich: Veränderungen gehen denen, die mit dem Ist-Zustand zufrieden sind, immer zu weit und/oder auf den Geist. Das Radio ist nicht erst in den letzten Jahren vom „Einschaltmedium“ zum „Begleitmedium“ geworden. Wie oft schaltet ihr das Radio ein, um ganz bestimmte Sendungen zu hören? Ist es von daher verwerflich, auf veränderte Nutzungsgewohnheiten einzugehen und die Kulturwellen, wie die Fachleute sagen, „durchhörbarer“ aufzustellen?

Um mal eine pointierte Meinung dagegen zu halten: Die Kulturwellen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben über Jahrzehnte den Kulturbegriff einer Elite bedient, der mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr viel zu tun hat und einen zunehmenden Prozentsatz der Bevölkerung ausschließt. Wenn dem nun entgegengewirkt wird, ist das grundsätzlich begrüßenswert.

In der aktuellen aufgeregten Debatte begleichen Kulturpessimisten dabei auch alte Rechnungen. Dieselben Kreise, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerne seine Starrheit und mangelnde Flexibilität vorwerfen (wie die FAZ), sehen jetzt den Untergang des kulturellen Abendlandes heraufziehen.

Klar, nicht alle neuen Konzepte überzeugen. Bei Anstalten wie dem WDR und NDR sind Reformen im Hörfunk - um es mal vorsichtig zu formulieren - nicht in allen Teilen geglückt. Der Sparzwang sorgt dafür, dass an wichtigen Formaten wie „Zeitzeichen“ (rbb) oder „Stichtag“ (WDR) gesägt wird.

Ich plädiere für mehr Gelassenheit. Wenn jetzt Weltmusik, Neoklassik und Filmmusik in den kulturellen Kanon aufgenommen werden, passt das. Wenn jüngere Menschen gezielter mit kulturellen Inhalten und Formaten angesprochen werden sollen, passt das auch. Und bedeutet notwendigerweise, dass sich das Programm dann anders anhört als bisher.

Auch stärkere Kooperationen zwischen den vielen verschiedenen Kulturwellen der ARD und des Deutschlandfunks sind zunächst mal nicht per se schlecht. Sie müssen aber dem Programm, den Inhalten dienen und dürfen nicht reines Spardiktat sein.

Außerdem sollten wir diese Debatte nicht verengt auf die (je nach Zählart) neun Kulturwellen führen. Die Digitalisierung hat für beinahe unendliche neue Möglichkeiten gesorgt. Ein früher im Radio auf einem engen Sendeplatz ausgestrahltes Spezialthema kann heute in Podcasts in voller Breite und Schönheit für die „Hardcore-User“ präsentiert und abonniert werden. Das ZDF ist Hörfunk-Umtrieben qua Auftrag eigentlich gänzlich unverdächtig, bietet auf seiner Plattform ZDFkultur heute aber jede Menge nicht nur Seh-, sondern auch Hörbares. Arte mischt hier ebenfalls kräftig mit.

Geben wir den Macherinnen und Machern die Chance, Neues auszuprobieren. Das heißt nicht, dass wir auf eine kritische Begleitung verzichten. Was für die einen aber eine schlimme „Verflachung“ ist, kann für andere die Chance sein, überhaupt erstmal mit der wunderbaren Welt der Kultur tiefer in Berührung zu kommen. In diesem Sinne oute ich mich hier ganz klar als Kulturoptimist.

Steffen Grimberg

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